Ilse Aichinger: Verschenkter Rat (Lyrik-Klassiker #2)
Warum aktuell Ilse Aichinger lesen? Weil es Trost spendet.
Es ist schon paradox: Ilse Aichinger bringt in Verschenkter Rat zwei Dinge zusammen, die sonst höchstens aufeinander folgen – Verzweiflung und Trost. Ihre Literatur ist „kein Trost, aber ein Trost“, wie es am Ende des Gedichts Baumzeichnen heißt.
Ich will versuchen, genauer zu erklären, was ich damit meine. Zuerst zur Seitung der Verzweiflung.
Vieles lässt in und an den Gedichten der 2016 verstorbenen Schriftstellerin aus Österreich, die mit „Die größere Hoffnung“ auch einen der bedeutendsten Roman nach 1945 vorgelegt hat, verzweifeln. Allgegenwärtig ist, als Beispiel, der Eindruck der Jagd. Die Vergangenheit verfolgt die Sprecherinnen der Gedichte, die Träume der letzten Nacht, die Erinnerungen an schönere Zeiten.
Aber genauso viel vermag eben auch zu trösten, wie etwa, „daß in den goldenen Nächten / ein Kind schläft.“ (Marianne) Ruhe und Schlaf existieren neben Rastlosigkeit und kriegerischen Stunden des Wachens.
Transparente Unvereinbarkeit
Verantwortlich für diese Koexistenz von Positivität und Negativität sind die typischen Aichinger-Kontraste: „Der Lesestoff ist grün“ (Lesen), „die Wölfe pfeifen (Selbstgebaut), der Schnee fällt nicht vor dem Fenster, sondern direkt „durch meine Augen“ (Alter Blick). Schier endlose Reihen solcher leichten Verschiebungen der Realität, minimale Umänderungen von Gewohnheiten folgen nach und nach in nachdenklich-beiläufiger Rede.
Sie durchziehen die Beschreibung des natürlichen Lebens, das der Mensch im Gedicht mit seinen Worten erfasst, aber dennoch nicht als seines verstehen kann. Der gedankliche Graben zwischen den Bäumen, Tieren, Wiesen und dem Menschen, von denen die Texte erzählen, bleibt unüberwindbar.
Aber genauso liegt ein besonderes Verstehen darin, gerade diesen Graben mit der Sprache umzuformen. Es entsteht auf diese Weise eine Art gelassene Akzeptanz von fundamentalen Unterschieden. Was sie schön macht, wird in jedem, wirklich jedem der Gedichte in Verschenkter Rat mit sprachlicher Perfektion ausgearbeitet. Und so gewinnt am Ende, dank des dadurch ermöglichten Genuss von Sprache, der Trost tatsächlich ein wenig die Oberhand. Gerade in diesen Tagen ist das doch etwas, was man als Leser sehr gut gebrauchen kann.
Ilse Aichinger: Verschenkter Rat. S. Fischer 1991. 132 Seiten. 12 Euro. (Bestellung)