Paul Celan: Der Meridian und andere Prosa
Paul Celan starb heute vor 50 Jahren. „Der Meridian und andere Prosa“ ist ein wenig gelesenes Zeugnis seiner Zerrissenheit.
Die Zeitungen und Blogs sind derzeit voll mit Rezensionen von neuen Bücher zu Celans Werk und Erinnerungen an den Dichter.1Voller vielleicht nur noch mit Zitaten aus seinem Gedicht „Corona“. Interpretationen und Relektüren seiner Gedichte sind an der Tagesordnung. Was dabei etwas untergeht ist, dass es auch Texte aus Celans eigener Hand über Gedichte gibt.
Der Meridian und andere Prosa – ein Celan-Kleinod
Gesammelt hat sie der Suhrkamp Verlag 1988 in einem dünnen Band der Bibliothek Suhrkamp, der in seiner Nicht-Print-on-Demand-Version von damals recht hohe antiquarische Preise aufweist. „Der Meridian und andere Prosa“ enthält die zentralen Prosatexte Celans. Sie sind sehr variantenreich: Es finden sich Aphorismen, ein Text zur Kunst, kurze poetologische Aussagen sowie zwei Dankesreden. Die zweite, „Der Meridian“, hielt Paul Celan 1960 anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner Preises.
Der Titeltext ist ein schwieriger, wendungsreicher, der viel Aufmerksamkeit abverlangt und einen schlussendlich doch verloren stehen lässt. Und genauso ergeht es dem Lesenden dann auch bei den anderen Prosastücken: Etwas fehlt immer, etwas geht nicht ganz auf, obwohl alles so prägnant und klar erscheint.
Von der Prosa (wieder) zum Gedicht
Auf diese Weise führt Celans Prosa immer wieder zu seiner Lyrik. Die Prosa als Gattung fließt und wechselt von einem Thema zum anderen – und ist darum Celans Medium nicht. Für ihn ist die Wahrheit der Sprache etwas anderes: Dichtung, schreibt er, „Dichtung – das ist das schicksalhaft Einmalige der Sprache.“
Büchner, Kafka, Hölderlin
Die Einmaligkeit der Sprache rettete ihn durch das Dunkle, das der Nationalsozialismus war. „Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache.“ Mit ihr nähert er sich der Schönheit an – und auch anderen Autoren. In der Büchner-Rede tut er es natürlich mit Büchner tut, mit seinen Aphorismen formal und atmosphörisch an Kafkas Zürauer Aphorismen, mit seiner Poetologie an Hölderlin.2Der ja dieses Jahr dank Jubiläum auch in aller Munde ist. „Der Meridian und andere Prosa“ wird auf diese Weise ein hermetisches Gespräch Celans mit sich selbst und mit Großen der Weltliteratur.
Doch am Ende jedes Gesprächs bleibt eben immer doch die Einsamkeit. Die Welt erscheint unzugänglich, wie ein Aphorismus Celans aus seiner kleinen, im Buch abgedruckten Sammlung Gegenlicht eigenartig ausdrückt: „Vier Jahreszeiten, und keine fünfte, um sich für eine von ihnen zu entscheiden.“
Nirgendwo kommt diese Einsamkeit klarer zur Geltung als im großartigen Gespräch im Gebirg. Celan lehnte es lose an Büchners Lenz an. Zwei Juden treffen sich im Gebirge, sie versuchen miteinander zu sprechen, doch die Kommunikation scheitert. Ihnen beiden erscheint die Erde fremd. Sie fragen sich: „für wen ist sie denn gedacht, die Erde, nicht für dich, sag ich, ist sie gedacht, und nicht für mich –, eine Sprache, je nun, ohne Ich und ohne Du, lauter Er, lauter Es, verstehst du, lauter Sie, und nichts als das.“
Postskriptum: Der Suhrkamp Verlag erinnert 2020 mit einer schönen Sonderseite an Paul Celan.