Martin Opitz Barock memento mori

Andreas Gryphius: „Es ist alles eitell“

„Es ist alles eitell“ von Andreas Gryphius: Das vielleicht berühmteste Barockgedicht, von Poesi im Detail interpretiert.

Die Welt ist „eitel“ – das bedeutet: bedeutungslos, unnütz, weil vergänglich. Mit diesem pessimistischen Weltbild im Sinn veröffentlicht Andreas Gryphius 1643 das Sonett, dem heute unsere Gedichtinterpretation gilt. Bereits in der Epochenübersicht zum Barock war es Beispiel. Es ist voller markanter Vergleiche, rhetorischer Kniffe und kompositorischer Ideen. Los geht’s!

Kurze Auslegungen von Gedichten der deutschen und englischen Literaturgeschichte erscheinen regelmäßig auf diesem Blog. Diese und weitere Interpretationen werden auch bald als Lektürehilfen für Schüler, Studierende und andere Interessierte in der App verfügbar sein.


Andreas Gryphius: Es ist alles eitell

DV sihst / wohin du sihst nur eitelkeit auff erden.
    Was dieser heute bawt / reist jener morgen ein:
    Wo itzund städte stehn / wird eine wiesen sein
Auff der ein schäffers-kind wird spilen mitt den heerden.
Was itzund prächtig blüht sol bald zutretten werden.
    Was itzt so pocht vndt trotzt ist morgen asch vnd bein.
    Nichts ist das ewig sey / kein ertz kein marmorstein.
Jtz lacht das gluck vns an / bald donnern die beschwerden.
    Der hohen thaten ruhm mus wie ein traum vergehn.
    Soll den das spiell der zeitt / der leichte mensch bestehn.
Ach! was ist alles dis was wir für köstlich achten /
    Als schlechte nichtikeitt / als schaten staub vnd windt.
    Als eine wiesen blum / die man nicht wiederfindt.
Noch wil was ewig ist kein einig mensch betrachten.


Interpretation des Gedichts von Andreas Gryphius

Das 17. Jahrhundert, in dem Gryphius lebte, war für Europa und besonders Deutschland ein sehr hartes. Von 1618 bis 1648 wurde in Zentraleuropa der Dreißigjährige Krieg um das Heilige Römische Reich deutscher Nationen geführt. Viele deutsche Städte wurden zerstört, Menschen mussten aus der Heimat fliehen, wurden gefangen genommen oder hingerichtet. Bis zum 1. Weltkrieg war der Dreißigjährige Krieg im deutschen Kollektivgedächtnis der große Krieg schlechthin.

Wer wie Gryphius in einer solchen Zeit dichtete, musste natürlich Eindrücke dieser katastrophalen politischen Lage in seinen Texten verarbeiten. Im Barock, der literarischen Epoche des 17. Jahrhunderts, wurde dies in zwei zentralen Motivkreisen getan, die unter den Schlagwörtern memento mori („Bedenke, dass du sterben musst“) und vanitas (Vergänglichkeit alles irdischen) bekannt sind.

So barock, wie es nur geht

Beide Arten von Motiven tauchen in „Es ist alles eitell“ in vielfacher Gestalt auf. Das Sonett stellt seine Kernthese im ersten Vers durch eine Wiederholung von „du siehst“ offensiv zur Schau: „DV sihst / wohin du sihst nur eitelkeit auff erden.“. Die mit dem Begriff „Eitelkeit“ gemeinte Vergänglichkeit alles Irdischen wird im weiteren Verlauf durch viele verschiedene Gegensätze (Antithesen) aufgezeigt.

Beispiele sind etwa in den Versen 2 und 3 zu finden: „Was dieser heute bawt / reist jener morgen ein: / Wo itzund städte stehn / wird eine wiesen sein“. Sie sagen aus, dass kein Menschenhandwerk dauerhaft sein kann. Dasselbe gilt auch für die materiellen Wunder der Natur, etwa Blumen und auch Lebewesen: „Was itzund prächtig blüht sol bald zutretten werden. / Was itzt so pocht vndt trotzt ist morgen asch vnd bein.“ (V. 5f.) Positives und Negatives wechseln sich zwingend ab, so wie Leben und Tod. Dies wird dann speziell auf den Menschen gemünzt, der seine Aspirationen bedenken und sich daran erinnern sollte, dass er sterblich ist: „Der hohen thaten ruhm mus wie ein traum vergehn. / Soll den das spiell der zeitt / der leichte mensch bestehn.“ (V. 9f.) Das Leben ist kurz und illusorisch wie ein Traum, der Mensch zu leicht bzw. schwach, um dauerhaft stark und lebendig zu sein.

Die zuletzt zitierten Verse bringen außerdem endgültig das wichtigste Thema des Gedichts ins Spiel: die Zeit. Sie ist in „Es ist alles eitell“ viel mächtiger als der Mensch, der sterben muss, während sie weiterläuft. Außerdem entlarvt sie alles, was der Mensch schön findet, „Als schlechte nichtikeitt / als schaten staub vnd windt.“ (V. 12) Vor allem die Aufzählung der drei mit dem Tod und der Vergänglichkeit assoziierten Worte Schatten, Staub und Wind betonen die Gewichtigkeit dieser existenziellen Aussage.

Die Ewigkeit als unerreichbares Ideal

Gegenstück der Zeit ist in den letzten beiden Versen dann die Unendlichkeit, die in vielen barocken Gedichten mit Gott assoziiert wird. Sie ist für Menschen unerreichbar, „noch“ (V. 14). Gryphius lässt mit diesem Wort im letzten Vers („Noch wil was ewig ist kein einig mensch betrachten“) einen leisen Hoffnungsschimmer durch. Die Zeit läuft noch weiter, der Mensch muss ihre Gewalt in Form von Vergänglichkeit und Unbedeutsamkeit seines Lebens (gerade in Kriegszeiten) weiter ertragen. Aber nicht undenkbar erscheint es am Ende, dass sich das irgendwann ändert. Vielleicht ist damit das christliche Jenseits gemeint. Erlöst vom irdischen Leben „betrachtet“ der Mensch dort vielleicht nach dem Tod den ewigen Gott und ist von den Wirren der Antithesen der Welt – und der Verse zuvor – befreit.

Foto: Pixabay

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