Eduard Mörike: Er ist’s
Eduard Mörike hat mit „Er ist’s“ eines der bekanntesten deutschen Frühlingsgedichte geschrieben.
Hier haben wir bereits ein wenig über das Leben Mörikes erzählt. Nun soll es um eines seiner Gedichte gehen. Es ist typisch für die Naturbezogenheit des Biedermeier-Dichters und ein gutes Beispiel dafür, wie lyrische Sprache Sinneseindrücke transportiert, um Gefühle zu suggerieren.
Kurze Auslegungen von Gedichten der deutschen und englischen Literaturgeschichte erscheinen regelmäßig auf diesem Blog. Diese und weitere Interpretationen werden auch bald als Lektürehilfen für Schüler, Studierende und andere Interessierte in der App verfügbar sein.
Eduard Mörike: Er ist’s
Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab ich vernommen!
Interpretation des Gedichts von Eduard Mörike
Fast könnte man „Er ist’s“ für Kitsch halten – wäre es nicht so elegant durchkomponiert. Neun Verse hat das kurze Gedicht, keine Strophen und ein besonderes Reimschema. Die erst vier Verse folgen dem Schema des umarmenden Reimes (abba), die restlichen scheinbar dem des Kreuzreimes (cdcd). Aber sie werden unterbrochen, im achten Vers.
Dort kann der Sprecher nicht an sich halten und ruft freudig aus: „Frühling, ja du bist’s!“ – er ist glücklich über die Natur um ihn herum. Innerhalb des Gedichts gibt es keinen Vers, dessen Endlaut als Reim zu diesem Ausruf passt. Aber dafür steht außerhalb der Verse, so merkt man schnell, stattdessen die Überschrift parat. Sie endet auf „ist’s“ und reimt sich sehr deutlich. Die undeutliche Ankündigung „Er ist’s“ wird im achten Vers somit inhaltlich und formal präzisiert und erfüllt.
Sehen, riechen, hören
Die Verse vor dem Freudenjauchzen handeln davon, wie der Frühling überhaupt „vernommen“ werden konnte, bevor es zu diesem Ausbruch an Emotionen kommen konnte. Die ersten vier Verse sind dabei relativ allgemein und abstrakt gehalten: das „blaue Band“ (V. 1) eines strahlenden Himmels ist verzeichnet, die blaue Luft flattert vor wärmeren Winden (V. 2) und „[s]üße, wohlbekannte Düfte / Streifen ahnungsvoll das Land.“ (V. 3f.)
Plötzlich wird es dann konkreter. Die Verse 5 und 6 sprechen von wachsenden Frühlingsveilchen. Sie werden personifiziert, „träumen schon, / Wollen balde kommen“ – und ergänzen so das Ahnungsvolle der Verse zuvor. Vom großen Ganzen der Natur wechselt also der Blick auf eines ihrer kleinen Elemente.
Komplettiert wird der dabei parallel vermittelte Eindruck aus Sehen und Riechen der Natur durch einen „Harfenton“, der erklingt. Weil Mörike über sie auch ein anderes Gedicht geschrieben hat, kommt dem antikenkundigen Lesenden die Äolsharfe in den Sinn. Sie ist ein Instrument aus der griechischen Mythologie, das durch Wind in Schwingung versetzt wird. Es liegt nicht allzu fern, sich vorzustellen, wie auch in „Er ist’s“ die Winde vom Anfang des Gedichts im siebten Vers das mythische Instrument spielen.
Die Jahreszeit des Frühlings wird von Mörike in diesem Text also vor allem durch blaue flatternde Luft, angenehme Düfte, Blumen und harmonische Töne symbolisiert. Dadurch wird ein Bild einer positiven, wachsenden, optimistischen Zeitspanne gezeichnet, in der die Natur so freudig ist, wie der Mensch, der sie sieht und sinnlich erfährt. An dieser Harmonie ändert auch nicht, dass das Gedicht eigentlich etwas asymmetrisch komponiert ist – im Gegenteil: Durch die Freude im achten Vers wird diese Harmonie erst vollends bejubelt.
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