Peter Michalzik: Der Dichter und der Banker
In Der Dichter und der Banker geht Peter Michalzik einem wenig beleuchteten Abschnitt aus dem Leben von Friedrich Hölderlin nach.
Das Buch ist im Reclam Verlag erschienen – und in einer unerwarteten Hinsicht ein sehr typisches Reclam-Buch. Denn seinen größten Mehrwert erhält es durch sein Nachwort.
Erst dieses macht, ähnlich wie etwa Nachwörter zu Ausgaben von weltliterarischen Klassikern, erst recht klar, worum es auf den Seiten zuvor ging. Darin liegt kein Nachteil. Es ist vielmehr so, dass es dadurch zwingend notwendig wird, Michalzik Buch zu Ende zu lesen.
Sonst wird ein eher schlechter Eindruck haften bleiben von einem Buch, das scheinbar nicht weiß was es will und nichts wirklich aussagt. Weder über den bedeutenden Lyriker Friedrich Hölderlin noch über die Frankfurter Bankenwelt um 1800. Dies liegt an seiner schiefen problematischen historischen Anlage. In der Einleitung muss sein Autor deshalb auch direkt klarstellen, was für ein kritisches Unterfangen er betreibt – und wieso.
Der eigentlich nicht zu fassende Hölderlin
Michalzik will von Friedrich Hölderlins Beziehung zu einem seiner Arbeitgeber schreiben: dem Frankfurter Banker Jacob Gontard. Hölderlin war von 1796 bis 1798 Hauslehrer von dessen Sohn Henry und später Liebhaber von dessen Mutter. Das Problem: Es gibt keine Dokumente dieser Beziehung zwischen Jacob Gontard und dem Dichter, nur vereinzelte Briefe Hölderlins an Freunde aus der Zeit. Und die berühmten Liebesbriefe Susette Gontards. Diese wurden aber erst später verfasst.
Und so muss sich Michalzik fragen: „Wie schreibt man über ein Verhältnis, das besondere zeitgeschichtliche Bedeutung hat, zu dem es aber kaum überlieferte Zeugnisse gibt?“ (S. 9) Er sieht eine Lösung in den „Stärken des Auslotens und des spielerischen Erkundens von Möglichkeiten und Wahrheiten, die nur das Erzählen und der Dialog bereithalten.“ (S. 9) Bei kritischen Lesern und besonders bei interessierten Literaturwissenschaftlern gehen da erst einmal die pauschalen Alarmglocken an. „Erzählen in einem biografisch orientierten Text? Sakrileg!“
Die Befürchtung scheint sich im Haupttext dann auch zunächst als begründet herauszustellen. Dessen Abschnitte sind kurz, schlaglichtartig formuliert und nicht selten mit gelinde gesagt ‚kreativen‘ Zwischenüberschriften versehen. Des Weiteren sind immer wieder Montagen aus historischen Zeugnisse wie Zitaten aus dem Frankfurter Staats-Ristretto mit eindeutig frei erfundenen Dialogen zwischen Hölderlin und den Gontards oder Freunden zu lesen. Man fragt sich immer wieder: Was kann so ein Text überhaupt an Wahrheit bieten?
Variationen einer möglichen Wahrheit
An dieser Stelle kommt das Nachwort ins Spiels. Es gibt eine sehr zufrieden stellende Antwort auf die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Buchs, indem es vor allem klärt, um was für eine Art Buch es sich überhaupt handelt: Michaelzik nennt Der Dichter und der Banker im letzten Satz des Buchs „eine Variation über manche Begebenheit in Hölderlins Leben zwischen 1795 und 1798“.
Und man muss zugeben: Genau das ist dieses Buch. Nicht mehr und nicht weniger. Es werden Themen variiert und mit der Person Hölderlin in Beziehung gesetzt. Dadurch variiert auch die Darstellung seiner Person. Mal ist sie eine historisch verbürgte, mal eine erfundene. Und so ist das Buch selbstbewusst manchmal eine logische und manchmal eine eher unlogische Geschichte eines bürgerlichen Familienlebens in Frankfurt um 1800 und der eines werdenden Dichters.
Dabei wird auch das Titelthema des Geldes und sein Verhältnis zur Literatur eigentlich nur variiert. Es ist hier kein Thema einer historischen Studie, es ist (bloß, könnte man sagen) ein Leitmotiv für Michalzik spekulative Lebensabschnittsgeschichte Friedrich Hölderlins. Von ihr erwartet man unter all diesen im Nachwort nachgereichten Prämissen dann auch rückwirkend nichts Eindeutiges mehr.
Nach Michalzik wieder einmal Hölderlin lesen
Das ist, wie gesagt – und durch das Nachwort bestätigt –, kein Nachteil. Es hat sogar einen großen Vorteil: Der Dichter und der Banker regt enorm zur kreativ-spekulativen Relektüre der Gedichte Friedrich Hölderlins an. Denn auch dessen Lyrik ist, das macht Michalzik indirekt sehr deutlich, nichts anderes als Variation, Ausloten zwischen Wahrheit und Fiktion, zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Kein Anspruch der Welt, weder dichterischer noch lesender, kann diesen im Werk Hölderlins ausgeloteten Zwischenräumen absolut gerecht werden. Dass Michalzik in Der Dichter und der Banker ebenfalls keinen Anspruch daran an der Tag legt, ist ihm hoch anzurechnen.