Gedichte gegen Corona: Schauspielhaus Stuttgart startet Lyriktelefon
Das Schauspielhaus Stuttgart hat sich mit dem neuen Lyriktelefon eine besondere Aktion zur Bekämpfung von Corona-Einsamkeit ausgedacht.
Seit Montag steht etwas Neues auf dem Spielplan in Stuttgart: das Lyriktelefon. Jeden Wochentag von 17 bis 19 Uhr lesen Schauspieler des Ensembles Hörern Gedichte am Telefon vor.
Hier könnte man sich theoretisch anmelden – wenn nicht schon alles ausgebucht wäre.
In Zeiten reduzierter sozialer Kontakte, in denen unsere Bühnen geschlossen sind, entdecken wir das Telefon als künstlerisches Medium wieder. Am Lyriktelefon lesen Schauspielerinnen und Schauspieler des Schauspiels Stuttgart Zuhörerinnen und Zuhörern live Gedichte vor. Der Fernsprecher imaginiert persönliche Anwesenheit. So werden die eigenen vier Wände zum Raum für Fantasien, ja zur Bühne.
Krisenzeiten sind Hochzeiten der Nachbarschaftshilfe: Für das Lyriktelefon kooperiert das Schauspiel Stuttgart mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, das vom 23. Mai an im Literaturmuseum der Moderne die Ausstellung „Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie“ zeigt. So stehen im Lyriktelefon Dichterinnen und Dichter im Vordergrund, deren Handschriften in Marbach zu sehen sind: Neben Friedrich Hölderlin und Paul Celan werden das u.a. Nelly Sachs, Gertrud Kolmar, Rainer Maria Rilke, Hilde Domin und Else Lasker-Schüler sein.
Das Lyriktelefon schließt bewusst an berühmte Kunstaktionen der Vergangenheit an:
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Théâtrophone berühmt: Mit Hilfe des Telefons wurden damals Opern- und Theateraufführungen in die Salons des Pariser Bürgertums übertragen – live. Nicht nur der Schriftsteller Marcel Proust gehörte zu den begeisterten Zuhörern dieses telefonischen Theaters. Dial-A-Poem nannte der amerikanische Performancekünstler und Lyriker John Giorno 1968 seine Aktion, bei der auf Tonbändern aufgenommene Gedichte telefonisch abgehört werden konnten.
Die Aktion geschieht gemeinsam mit dem Literaturarchiv Marbach. Sie zeigt, wie wichtig Theater und Kunst in Krisenzeiten sind. Mit seinen Homestories demonstrierte auch das Schauspiel Bochum dies bereits.
Foto: Schauspielhaus Stuttgart