50 Gedichte des Sturm und Drang
Mit einer neuen Anthologie im Reclam Verlag sind 50 Gedichte des Sturm und Drang (neu) zu entdecken.
Wir freuen uns immer sehr, wenn eine neue Lyrik-Anthologie erscheint. Ein besonders schönes Projekt aus dieser Kategorie gibt es nun in der Universal-Bibliothek von Reclam. In kompakter Form werden dort auf 141 Seiten von Matthias Luserke-Jaqui Gedichte des Sturm und Drang präsentiert.
Vor einigen Wochen haben wir hier bereits diese Epoche hier genauer thematisiert. Als Gedichtbeispiel diente ein Klassiker: Goethes Prometheus, der natürlich prominent in der Reclam-Sammlung vertreten ist. Aber auch Texte aller anderen von uns genannten Autoren sind vertreten – und noch einige mehr.
Hauptvertreter Goethe und Lenz
Die Sammlung eröffnet passenderweise ein Gedicht der beiden Hauptvertreter der so Epoche (oder Stilrichtung, wie man’s nimmt). Johann Wolfgang von Goethe und Jakob Michael Reinhold Lenz schrieben gemeinsam Erwache Friederike, ein erotisch gefärbtes Liebesgedicht an die von beiden geliebte Pfarrerstochter Friederike Brion. Dessen Mischung aus Pathos, Unverfrorenheit und bissigem Humor sind ein launiger Einstieg:
Die Nachtigall, im Schlafe
Hast Du versäumt:
So höre nun zur Strafe
Was ich gereimt
Dem Werk der beiden einzelnen Dichter entstammen auch die folgenden 22 Gedichte. Den zweiten Teil macht die nicht weniger interessante ‚zweite Garde‘ des Sturm und Drang aus: der patriotisch-exklusive Göttinger Hainbund mit dem streitlustigen Hölty, die episch veranlagten Gottfried August Bürger und Friedrich Schiller sowie viele selbst eingefleischten Germanisten unbekannte Autoren. Unter deren Texten sind einige Perlen, etwa die Freiheitslyrik in Johann Martin Millers Lied eines Gefangenen oder der Blick der liberalen Deutschen auf das sich befreiende Amerika in Schubarts Freiheitslied eines Kolonisten.
Sturm und Drang der Männer
Leider sind in der ganzen Anthologie nur Autoren vertreten, es kommt keine einzige Frau zu Wort. Es erweist sich der Sturm und Drang aus heutiger Sicht in diesem Band einmal mehr als das absolut maskuline Phänomen, das er ist. Die permanent präsente Ideale von Freundschaft, Freiheit und Begeisterung für Fortschritt, sie scheinen den Lyrikern vorbehalten zu sein. Das unterstreicht auch das letzte Gedicht von Philipp Christoph Kayser an Klinger1Dessen nachträglich umbenanntes Drama Sturm und Drang gab der Epoche ihren Namen; Fettung unten Red..:
Da stehst du! hold von Angesicht
Blickst du mich an, und süße spricht
Dein Mund die öftern Lehren wieder:
Sei stark und männlich! halt dich auf!
Sei ruhig! lass der Dinge Lauf!
Und beug dich nur nicht nieder!
Das sonst sehr schöne und kompakte Nachwort des Herausgebers reflektiert dies leider nicht. Dabei wäre das zumindest im Kontext des im Sturm und Drang beliebten Topos des Kindsmords einer Frau sinnvoll, der Fragen nach der Bewertung männlicher Lust aus der Opferperspektive aufwirft. Dies nur implizit anzuerkennen ist der einzige Nachteil des ansonsten lehrreichen, mit spannenden Texten und aufschlussreichen Kontextinformationen gefüllten – und dafür sehr preiswerten – Buchs.
50 Gedichte des Sturm und Drang. Hg. Matthias Luserke-Jaqui. Reclam 2020. 141 Seiten. 4,20 Euro. (Bestellung)