Jan Wagner: Regentonnenvariationen
Es lohnt sich auf jeden Fall, in den 2014 erschienenen Gedichtband Regentonnenvariationen von Jan Wagner zu schauen – egal ob man ein Naturkenner ist oder nicht.
Die Gedichte geben einen neuen Blick auf die Natur und führen Pflanzen und Tiere über ganz freie Assoziationen bis ins Bizarre.
Der Giersch, die Melde, die Schlehe oder die Silberdistel, die wahrscheinlich für die meisten Leserinnen und Leser sonst ungekannt und unbeachtet am Wegesrand stehen, werden zu Hauptakteuren der Gedichte und bekommen Aufmerksamkeit in ihren faszinierenden Strukturen. Pflanzen, von denen man als Kind fasziniert war, wie das weidenkätzchen, tauchen bei der Lektüre aus der Erinnerung auf und mit ihnen Momente wie „der punkt, an dem die dinge sich entfernen; der augenblick, in dem wir ignoriert und nur noch zeuge sind oder statist“.
Im Widerstand mit dem trägen Kreislauf der Natur
Die Suche nach Ruhe in der Natur als Ausgleich zu Verpflichtungen und Stress kommt im Band immer wieder auf, jedoch wird die Natur meist aus dem Blickwinkel eines Statisten betrachtet. Der Mensch als Akteur kommt selten vor. Das Gedicht ein pferd endet etwa mit dem Satz: „es rührt sich nicht. es steht da, sieht ins land.“ Diese Trägheit ist schwer auszuhalten. Man möchte etwas tun.
Faszination der Beobachtung oder gewaltvolles Eingreifen
Doch das Eingreifen schmälert die Faszination der Beobachtung und kann den natürlichen Kreislauf durcheinander bringen, übt eventuell sogar Gewalt an der Natur aus. Es gibt viele Bezüge zum Krieg, so taucht im Gedicht gräber ein Maulwurf auf, der als „verirrte kugel aus samt und panik“ beschrieben wird, „den urgoßvater immer fangen wollte, nie fing, erschüttert angesichts der narben und krater“.
Regentonnenvariationen durchzieht die Frage danach, wie ein moralisches Handeln gegenüber der Natur, andere Menschen mit einbegriffen, aussehen sollte. Untergründig schwingt mit: Auch wenn die Natur träge scheint, schlägt sie irgendwann zurück. Dieses explosive Potenzial findet sich im Bild der Regentonne: „einen sommer lang ganz versunken. dann, bei sturm, schäumte sie über.“
Eine perfekte Welt mit einem Herz aus vierzig Watt im Mittelpunkt
Besonders das Gedicht aus der globusmanufaktur weitet den Blick nochmals, indem es aus der Sicht eines Kindes hinterfragt, wie die Welt funktioniert. So bizarr sie sind, sind die Ideen völlig berechtigt. Der Globus als künstliche Darstellung der Welt teilt alles in klare Zonen auf, dabei gehört natürlicherweise alles zusammen, wie auch der Mensch Teil der Natur ist. Der Äquator ist zwar als Abgrenzung gedacht, stellt zugleich aber eine Verbindungslinie dar, „der man folgen könnte durch wälder, länder, kontinente“. Warum eigentlich nicht?! Los geht ́s in den nächsten Wald!
Jan Wagner: Regentonnenvariationen. Hanser 2014, 112 Seiten. (Bestellen)