Bei Dao: Forms of Distance
Distanz kann Ausdruck der Fürsorge sein. Sie konnte aber auch schon immer vieles andere sein, was Bei Dao schon lange weiß. Sein bislang nur ins Englische vollständig übersetzter Band „Forms of Distance“ (dt. „Formen der Distanz“) legt davon Zeugnis ab und von einer Zeit, in der das Tiananmen-Massaker in China noch nicht allzu lang her war.
Klassiker-Steckbrief
Autor: Bei Dao (*1949)
Titel (übers.): Forms of Distance
Erscheinungsjahr: 1993
Originalsprache: Chinesisch
Themenkreise: Einsamkeit, Abstand, Isolation, Grenzüberschreitung, Privatsphäre, Freiheit, Globalisierung
Dieses Buch behandelt ein Paradox, über das mit Sicherheit nicht oft genug nachgedacht wird: Intimität und Kritik vertragen sich sehr schlecht. Kritik sowohl an der Intimität, dem Privatesten selbst ist nicht gern gesehen. Und aus dem kleinen Kreis, dem direkten Umfeld lässt sich schwer Kritik üben am ganz Großen. Die Distanz macht es schwierig, der Unterschied zwischen dem wenigen, was man wirklich selbst hat und dem, was die Welt alles noch so ist.
Nadelstiche ins Herz der Globalisierung
Aber irgendwie bringt Bei Dao es fertig, fast 30 Jahre vor der heutigen gesundheitlich-sozialen Krise der Welt und ihrem Rückzug ins Privateste, zu zeigen, was dennoch möglich ist. Nämlich sich zurückzuziehen und zugleich alles auf der Welt wahrzunehmen. Kein scharfes politisches Wort fällt in den Gedichten in „Forms of Distance“. Aber die Missstände der Welt – die sie heute mehr oder weniger noch so hat, wenn nicht schlimmer – werden doch immer wieder von unbarmherzigen Schlaglichtern erfasst.
Bei Dao: Dichter und Zeuge zugleich
Und so ist im unaufgeregten Fluss seiner einfallsreichen Bilder alles da. Der Tod ist da, die Liebe, der Mond und der Kapitalismus. Sie stehen gemeinsam da mit seinem chinesischen Diktatur-Surrogat zwischen Kommunismus und Globalisierung. Von all dem redet Bei Dao wie der glaubwürdiger Zeuge, der er ist. Aber er tut dies nicht ohne diese Rolle zugleich abzulegen, um das zu sein, was er wirklich ist: Dichter.